Rede bei Metzingen Macht Mut am 2. März 2024 auf dem Marktplatz Metzingen | Metzingen macht Mut war eine Kundgebung für Menschenrechte und Zusammenhalt, von Privatpersonen organisiert

Grüß Gott!

Ich bin David Roth. Ich bin Koordinator des Arbeitskreis Asyl in Metzingen und Pastor bei den Baptisten, der Kirche mit offenen Armen. Da wird es euch nicht verwundern, dass sich meine Bibel mitgebracht habe. In der Bibel finde ich immer wieder Sätze, die mir Mut machen. Einer dieser Sätze ist:

Jeder Mensch sei schnell zum Hören,
langsam zum Reden, langsam zum Zorn! (Jakobus 1,19)

Das ist uralter Tipp! Fast 2.000 Jahre alt. Und immer noch aktuell.

Mir macht das Mut! Wir leben heute nicht in Zeiten, die schlechter sind als früher.

Es war schon immer eine Gefahr für uns Menschen, dass wir uns nicht zuhören.

Es war schon immer so, dass wir lieber sofort losreden, wenn wir unsere eigenen Interessen bedroht sehen.

Es war schon immer so, dass Menschen voller Wut aufeinander losgehen. Es hat schon immer Hater gegeben!

Das war schon immer so! Auch schon vor 2.000 Jahren!

Mir macht das Mut. Wir haben nicht die Epoche mit den schlechteren Menschen erwischt. (Glück gehabt!) Nicht Facebook und X haben uns zu Menschen gemacht, die wenig hören, die viel zu schnell ihre Meinung sagen, ohne Argumente zu haben, und nicht X und andere mehr oder weniger soziale Medien haben uns zu Hatern gemacht.

Ich glaube, wir Menschen stellen einfach die Geschwindigkeiten komplett anders ein als es hier in diesem Satz steht. Das geht mir ja auch so! Ich bin auch viel zu schnell zornig! Wir sind schnell zornig, kochen hoch. Und dann sagen wir Dinge, die gar nicht zu uns passen. Wir vertreten Meinungen, bei denen andere uns das Denken abgenommen haben und über die wir nicht nachgedacht haben. Und dann kommt das Hören so langsam nach, so langsam, dass wir längst schon wieder an einer anderen Stelle ganz schnell zum Zorn sind…

Das Gute ist: Das ist nichts Neues! Wir sind einfach Menschen, die sich – wie die Menschen vor 2.000 Jahren – sagen lassen müssen: Regelt die Geschwindigkeit!

Seid schnell zum Hören,
aber langsam zum Reden und langsam zum Zorn!

Ich bin so froh über meinen Vorredner! Wir sind nicht immer einer Meinung. Einiges, was seine Partei gerade macht, macht mir große Sorgen. Dass neben den AfD-Leuten auch einige Menschen der CDU beim Masterplan-Treffen in Potsdam dabei waren, macht mich mehr als nachdenklich. Aber er ist heute hier!

Und wir sind uns einig, dass jeder Mensch eine Würde hat.
Wir sind uns einig, dass wir unsere Demokratie schützen müssen, damit nicht die Demokratie missbraucht wird, um die Demokratie abzuschaffen.
Wir dürfen deshalb nicht die vorgetäuschten Analysen der Extremisten übernehmen und die angeblichen Lösungen der Extremisten schon gar nicht.

Aber bei den Fragen, aus denen die Extremisten Ängste machen, bei den Sorgen, aus denen die Extremisten Feindschaft machen, bei den Träumen, aus denen sie unhaltbare Versprechen machen, bei den Fragen, den Sorgen und den Träumen, da müssen wir zuhören. Alle. Politikerinnen und Politiker genauso wie wir.

Ja, wir müssen schnell sein zum Hören: Was will dieser Mensch? Was will diese Gruppe? Und wir müssen ein zweites Mal hinhören, denn nicht immer ist das, was ein Mensch will, auch das, was er wirklich will und braucht oder was alle weiterbringt.
Und dann kommt das Reden: Wir müssen miteinander reden! Wir müssen uns auseinandersetzen. Wir müssen einander aushalten. Und wir müssen zusammenhalten. So wollen wir leben hier in Metzingen!

Wir dürfen uns nicht zufrieden geben mit den einfachen Antworten. Nein, es sind nicht die Menschen aus anderen Ländern, die an allem schuld sind! Nein, es wird nicht alles besser, wenn man versucht, die Uhr in die Zeit vor 100 Jahren an den Vorabend des NS-Regimes zurückzudrehen.

Und nein, die Flucht allein macht keine besseren Menschen aus den Menschen. Die, die zu uns kommen, sind Menschen genau wie die, die schon immer in Metzingen leben – und 5 von hundert Menschen machen vor allem Probleme oder sie sind sogar welche. Das ist bei den Einheimischen so und das ist auch so bei den Zugezogenen.

Und die Lösungen? Wer wirklich eine Lösung sucht und nicht nur Ärger, Blockade, Verwirrung und Chaos, muss zuhören. Und wir müssen schnell zuhören, dann reicht es auch noch für ein zweites Mal Zuhören und so kommt man zu guten Lösungen.

Jeder Mensch sei schnell zum Hören,
aber langsam zum Reden und langsam zum Zorn!

Mir macht das Mut, dass wir nicht die ersten Menschen sind, denen man das sagen muss. Mir macht es Mut, dass wir nicht die schlechtere Epoche erwischt haben.

Wer nicht so schnell redet, wer nicht auf jeden Kommentar immer gleich mit Hass und Hetze reagieren muss, hat einfach mehr Zeit! Mehr Zeit, um zuzuhören und sich auch selbst zu fragen und sich selbst zuzuhören: Was will ich wirklich? Wollen wir wirklich, dass wir selbst und unsere Kinder in einer Welt aufwachsen, in der alle nur an sich selbst denken?

Mein Baptistenpastor-Kollege Martin Luther King hat einmal gesagt, dass er einen Traum hat vom Zusammenhalt der Menschen. Was ist dein Traum? Hör genau hin! Was ist dein Traum. Denn das ist unser Traum! Wir träumen davon, dass Noor und Lena, dass Emilio, Max und Mohammed eines Tages auf dem Weinberg stehen und hinunterschauen und sagen: „Das ist unsere Heimat!“

Wir wollen menschlich miteinander umgehen. Wir wollen Lösungen finden und nicht die Probleme sein. Dazu müssen wir zuhören, den Traum hören, aber nicht nur den Traum. Wir müssen die Sorgen hören, aber nicht nur die Sorgen. Wir müssen die Fragen hören, aber nicht nur die Fragen. Alles zusammen.

Wir wollen, dass Metzingen menschlich bleibt. Und nicht nur Metzingen. Wir wollen, dass wir Menschen menschlich bleiben. Es ist so wichtig, dass wir uns dazu immer wieder Mut machen. Und dass wir uns daran erinnern, freundlich und bestimmt:

Jeder Mensch – sei schnell zum Hören,
aber langsam zum Reden und langsam zum Zorn!

Wir wollen, dass Metzingen menschlich bleibt.